Heinrich, die Schachtel und das Glück
# Der Tauschhandel *Ein Märchen im Stil der Brüder Grimm* Es war einmal ein armer Schuhmacher namens Heinrich, der in einem kleinen Dorf am Rande eines tiefen, dunklen Waldes lebte. Obwohl er fleißig arbeitete und die schönsten Schuhe im ganzen Umland fertigte, hatte er kaum genug zum Leben. Eines Tages, als der Winter besonders hart war und sein Vorrat an Leder zur Neige ging, beschloss Heinrich, zum Markt in der nächsten Stadt zu gehen, um seine letzte Kuh zu verkaufen. Das Tier war alt, gab aber noch Milch, und Heinrich hoffte, dafür genug Geld zu bekommen, um den Winter zu überstehen. Als er auf dem Weg zum Markt durch den Wald ging, begegnete er einem seltsamen alten Mann mit silberweißem Bart, der auf einem Baumstumpf saß. "Guten Tag, junger Schuhmacher", grüßte der Alte. "Wohin führt dich dein Weg mit dieser mageren Kuh?" "Zum Markt", antwortete Heinrich. "Ich muss sie verkaufen, um Leder für meine Arbeit zu kaufen." Der alte Mann lächelte und zog eine kleine Schachtel aus seiner Tasche. "Ich biete dir einen Tausch an. Diese Schachtel gegen deine Kuh." Heinrich lachte. "Was soll ich mit einer leeren Schachtel anfangen?" "Sie ist nicht leer", erwiderte der Alte. "Sie enthält etwas Wertvolles. Jeden Morgen, wenn du sie öffnest, wirst du darin genau das finden, was du am dringendsten brauchst – aber nur, wenn du sie niemals aus Habgier öffnest." Heinrich zögerte. Die Worte des Alten klangen wie im Märchen, aber etwas in seinen Augen ließ Heinrich glauben, dass er die Wahrheit sprach. Nach kurzem Überlegen willigte er ein und tauschte seine Kuh gegen die Schachtel. Zu Hause angekommen, erzählte Heinrich seiner Frau Greta von dem seltsamen Handel. Sie schimpfte und nannte ihn einen Narren, der sich von einem Fremden hatte betrügen lassen. Am nächsten Morgen öffnete Heinrich mit klopfendem Herzen die Schachtel. Zu seiner Überraschung lag darin ein Stück vom feinsten Leder, genau ausreichend für ein Paar Schuhe. Heinrich machte sich sofort an die Arbeit und fertigte daraus die schönsten Schuhe, die er je gemacht hatte. Ein vornehmer Herr, der zufällig durch das Dorf reiste, sah die Schuhe und war so beeindruckt, dass er sie für einen hohen Preis kaufte – mehr als Heinrich für die Kuh bekommen hätte. In den folgenden Tagen lieferte die Schachtel genau das, was Heinrich am nötigsten brauchte: Leder, wenn seine Vorräte zur Neige gingen, Nahrung, wenn der Hunger groß war, Medizin, als Greta krank wurde. Das Leben der Familie verbesserte sich, und bald wurde Heinrich bekannt für seine außergewöhnlichen Schuhe. Sein Wohlstand wuchs, und er konnte ein größeres Haus am Dorfplatz kaufen. Doch mit dem Wohlstand kam auch die Gier. Eines Tages, als Heinrich sah, wie der Goldschmied des Dorfes einen Beutel Goldmünzen zählte, dachte er: "Wenn ich doch nur mehr Gold hätte, könnte ich das größte Haus im Dorf bauen." Am nächsten Morgen öffnete er die Schachtel nicht, weil er Leder brauchte, sondern weil er Gold wollte. Als er den Deckel hob, fand er jedoch weder Gold noch Leder – die Schachtel war vollkommen leer. Betrübt erinnerte er sich an die Warnung des alten Mannes: "...nur, wenn du sie niemals aus Habgier öffnest." Heinrich hatte sein Versprechen gebrochen. In dieser Nacht träumte Heinrich vom alten Mann, der zu ihm sprach: "Die Schachtel war nie magisch, Heinrich. Sie hat dir nur geholfen, das zu sehen, was du bereits hattest: deine Geschicklichkeit, deinen Fleiß und deine Zufriedenheit mit dem, was du wirklich brauchst." Als Heinrich am nächsten Morgen aufwachte, schaute er seine Werkstatt mit neuen Augen an. Er hatte bereits alles, was er zum Glücklichsein brauchte: seine Gesundheit, seine Fähigkeiten und seine Familie. Von da an arbeitete Heinrich wieder mit dem gleichen Eifer wie früher. Er fertigte weiterhin die schönsten Schuhe im Land, nicht um reich zu werden, sondern weil er Freude an seiner Arbeit hatte. Und obwohl die Schachtel leer blieb, war sein Leben reicher als je zuvor. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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